„Orchester-Engel“
Die Orgel der Lutherischen Pfarrkirche St. Marien in Marburg
Acht Engel sind es, die vom barocken Orgelprospekt der Lutherischen Pfarrkirche herunterschauen. Oder besser gesagt: Sie musizieren - auf Gambe, Laute, Trompete, Posaune und Violine. Schaut man vom Kirchenschiff aus zur Orgel hinauf, dann ist der erste Eindruck der einer zweimanualigen Barockorgel norddeutschen Typs. Dieser Eindruck ist so falsch nicht: Im April 1721 kam der Hanauer Orgelbauer Nikolaus Schäfer mit seinen Mitarbeitern und seiner Familie nach Marburg, um mit dem Neubau einer Orgel von 28 Registern auf zwei Manualen und Pedal zu beginnen. Im Oktober 1722 war das Instrument fertig; die Bildhauerarbeiten am Gehäuse (Schnitzwerk, Engel etc.) wurden von dem Marburger Johann Friedrich Sommer ausgeführt.
Auf der tiefergelegten Empore (die nun eine Rückführung des Prospektes auf seine originalen Proportionen erlaubte) erbaute 1968/69 Karl Schuke /Berlin eine neobarock orientierte Orgel mit 51 Registern auf drei Manualen und Pedal; 1989 kamen drei Register hinzu und 1996 wurde eine elektronische Setzeranlage eingebaut. Die fehlende Rauschpfeife im Pedal folgte 2007.
2015 erfolgte eine Generalreinigung und Erweiterung des Instrumentes durch die Firma "Freiburger Orgelbau". Ein Bourdon 16‘ wurde 2015 im Hauptwerk eingebaut. Somit hat die Orgel nun 14 Register im Hauptwerk (2. Manual), 13 im Postiv (1. Manual), 13 im Pedal und 16 im Schwellwerk (3. Manual), also 56 Register. Zehn davon sind „Zungenregister“ (Posaune, Trompete, Vox humana u.a.); sieben gemischte Stimmen (Mixtur, Scharff etc.), weitere sieben sog. Aliquote (Quinten, Terzen etc.).
Der neobarocken Tendenz des Instrumentes entsprechend sind die Streicher deutlich unterrepräsentiert (lediglich „Schwegel 8´ im Schwellwerk). In den nunmehr 47 Jahren hat sich die Orgel, die zweifellos die meistgespielte in ganz Marburg ist, gleichwohl als erstaunlich flexibel und klanglich geradezu unerschöpflich erwiesen.
Wie so oft blieb auch in der Pfarrkirche von diesem Instrument nur die Fassade (der Prospekt) übrig; nach geschmacksbedingten Änderungen und technischen Reparaturen erfolgte 1912/13 ein völliger Neubau: Die bekannte Firma E. F. Walcker & Cie. baute hinter der schon 1876 leicht modifizierten Fassade mit den stillgelegten (1917 für Kriegszwecke abgegebenen) Prospektpfeifen Schäfers ein modernes, pneumatisches Werk mit 45 Registern und zwei Transmissionen auf drei Manualen und Pedal. Heute würde man diese Orgel als Denkmal der „Orgelromantik“ unter Denkmalsschutz stellen; nach dem zweiten Weltkrieg aber, im Feuereifer der „Orgelbewegung“ und im Zusammenhang mit der letzten Umgestaltung des Kirchenraumes, wurde sie entfernt.
Geschichte der Orgel der Lutherischen Pfarrkirche St. Marien
Oktober 1722
Nach Vorläuferinnen seit dem 14. Jahrhundert Fertigstellung der Orgel durch den Orgelmacher Johann Nikolaus Schäfer aus Hanau. Das Orgelwerk besitzt auf mechanischer Schleiflade zwei Manuale, Pedal, verfügt über 28 Stimmen und wird im Chor auf einer Empore aufgestellt. Die Bildhauerarbeiten am Prospekt stammen von dem Marburger Bildhauer Johann Friedrich Sommer.
1875 / 1876
Umsetzung der Orgel vom Chor auf eine neu errichtete Orgelbühne an der Westseite der Kirche über dem Eingang. Die Arbeiten werden von Orgelbauer Peter Dickel aus Treisbach durchgeführt.
1912 / 1913
Neubau hinter dem barocken Orgelgehäuse durch E. F. Walcker & Cie. Ludwigsburg als Op. 1721 mit drei Manualen, pneumatischer Spiel- und Registertraktur, 8 Koppeln und zwei freien Kombinationen, Pedal und 47 Stimmen nach einem Gutachten und der Disposition von Universitätsmusikdirektor Prof. Gustav Jenner.
1925
Umbauten im Zuge der Orgelreformbewegung
1968 / 1969
Neubau durch die Berliner Orgelbauwerkstätte Prof. Karl Schuke mit drei Manualen, Pedal und 51 Registern, mechanischer Schleiflade und elektrischer Registertraktur unter Verwendung des barocken Gehäuses, welches auf einer neuen, tiefergelegten Empore wieder aufgerichtet wurde. Hierbei wurde der verkürzte Hauptwerksprospekt wieder auf seine ursprünglichen Proportionen gebracht. Die Disposition wurde von Prof. Karl Schuke, Prof. Helmut Walcha und Prof. Fritz Werner Büchner entworfen.
1989
Das Instrument wird durch seinen Erbauer gereinigt und repariert. Die Disposition wird geringfügig geändert bzw. ergänzt. Hinzugefügt werden ein Fagott 16´im Hauptwerk, eine Vox humana 8´ und eine Quinte 1 1/3´ im Positiv. Die Septime 1 1/7´im Schwellwerk wird zu einer Flöte 1´umgeändert.
1996
Die Orgel erhält eine neue elektronische Setzeranlage.
2014 / 2015
Technische und klangliche Überholung durch ‚Freiburger Orgelbau‘ Hartwig und Tilmann Späth, OHG und deren Intonateur Reiner Janke. Neben einer gründlichen Nachintonation liegt der Schwerpunkt auf der Stabilisierung des Windsystems und der Verbesserung des Spielgefühls der Manualtrakturen. Die Trompete 4‘ im Schwellwerk wurde zur Trompete 8‘ gemacht, die Flöte 1‘ zur Septime 1 1/7‘ zurückgeführt. Ein Bourdon 16‘ wurde im Hauptwerk hinzugefügt. Eine Winddrossel und eine Midischnittstelle wurden eingebaut.
Informationen:
- Erbaut 1969 durch die Berliner Orgelbauwerkstatt Karl Schuke GmbH
- 2015: Technische und klangliche Überholung durch Freiburger Orgelbau Späth
- Tonumfang: Manuale C-g³, Pedal C-f¹
- Mechanische Spieltraktur, Elektrische Registertraktur
Disposition:
- I. Positiv
- Gedackt 8'
- Quintade 8'
- Principal 4'
- Koppelflöte 4'
- Rohrquinte 2 2/3'
- Oktave 2'
- Gedackt 2'
- Quinte 1 1/3'
- Sifflöte 1'
- Sesquialter II
- Scharff IV-V 1'
- Krummhorn 8'
- Vox humana 8'
- Tremulant
- II. Hauptwerk
- Bourdon 16’
- Quintade 16'
- Principal 8'
- Rohrflöte 8'
- Spielflöte 8'
- Oktave 4'
- Nachthorn 4'
- Nasat 2 2/3'
- Oktave 2'
- Waldflöte 2'
- Mixtur V-VI 1 1/3'
- Scharff III-IV 1/2'
- Fagott 16'
- Trompete 8'
- Tremulant
- III. Schwellwerk
- Rohrflöte 16'
- Holzprincipal 8'
- Spitzgedackt 8'
- Schwegel 8'
- Principal 4'
- Flöte douce 4'
- Quintflöte 2 2/3'
- Oktave 2'
- Nachthorn 2'
- Terz 1 3/5'
- Quinte 1 1/3'
- Septime 1 1/7‘
- Mixtur V 2'
- Dulcian 16'
- Oboe 8'
- Trompete 8’
- Tremulant
- Pedalwerk
- Principal 16'
- Subbaß 16'
- Quinte 10 2/3'
- Oktave 8'
- Gedackt 8'
- Oktave 4'
- Rohrpommer 4'
- Bauernflöte 2'
- Rauschpfeife IV 5 1/3'
- Mixtur V 2'
- Posaune 16'
- Trompete 8'
- Clairon 4'
- Tremulant
Koppeln: III/II, I/II, I/P, II/P, III/P
Kontakt
Lutherische Pfarrkirchengemeinde
St. Marien Marburg
Lutherischer Kirchhof 1 | 35037 Marburg
Telefon: (06421) 34 00 695
http://pfarrkirche.ekmr.de
http://www.stundederorgel.de
www.kurhessische-kantorei.de