Kirchenmusik der EKKW
  • O! Orgel | Orgel des Monats | August

     

    „Drei Manuale – zwölf Register“

    Die Orgel der Katharinenkirche zu Steinau an der Straße (1871)

     

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    Das kleine im Kinzigtal gelegene Städtchen Steinau an der Straße beherbergt zwei baugeschichtlich interessante Kirchen, zum einen die dem Barock verpflichtete Reinhardskirche, zum anderen die Katharinenkirche im Stil einer spätgotischen Hallenkirche.

    Letztere besitzt eine Orgel aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine gesicherte Zuordnung konnte erst im Zuge der Restaurierung im Jahr 2019 getroffen werden. Bei dieser denkmalgerechten, grundlegenden Wiederherstellung der Orgel konnte u.a. mit Hilfe noch vorhandener Vergleichsinstrumente als für die Steinauer Orgel maßgeblicher Orgelbauer Georg Friedrich Wagner (1818-1880) ermittelt werden, was einer kleinen Sensation gleichkam, galt zuvor doch Georg Link als deren Erbauer. Unter der Jahreszahl 1834 kursierte unwidersprochen die – heute müssen wir sagen – Annahme, dass dieser die Orgel unter Verwendung einiger Register und des Prospektes der Vorgängerorgel (1682) erbaut haben soll.

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    Durch die Widerlegung dieser zeitlichen Zuordnung und im Rahmen eines aufwändigen Rechercheprozesses konnten bisher bekannte wie auch neu erhobene Fakten und Erkenntnisse zur Baugeschichte der Steinauer Orgel gefestigt bzw. gewonnen werden. So konnten die Jahre 1682, 1690, 1785, 1834 und schließlich 1871 als wichtige Etappen ermittelt werden, die mit mehr oder weniger bedeutsamen Orgelbauern der Region verbunden waren. In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden z.T. erhebliche Änderungen an der Orgel vorgenommen, die dann im Jahr 1989 in eine Rückführung und Überarbeitung der Orgel im Sinne einer Restaurierung mündeten.

    Bei dieser inhomogenen, manchmal auch flickschusterhaften Baugeschichte nimmt es nicht wunder, dass neben der Restaurierung technischer Baugruppen ein besonderes Augenmerk auf die klangliche Geschlossenheit und Synthese von Registern verschiedener Herkunft gelegt wurde, wie dies nun einmal bei der Ausgangslage eines gewachsenen Bestandes als notwendige Herausforderung Beachtung erlangen muss. Dieser Aufgabe nahm sich mit Akribie, Hingabe und fachlicher Kompetenz die Orgelbauwerkstätte Mebold (Gießen) in den Jahren 2018 und 2019 an.

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    Wenn in der obigen Überschrift von 3 Manualen bei 12 Registern die Rede ist, so mag sich jeder fragen, wie dies zu verstehen sei. In der Tat sind 11 Register lediglich nur auf das 1. Manual und Pedal verteilt. Das 2. Manual ist – und dies kann als Rarität angesehen werden – ein mit entsprechenden Zungenplättchen ausgestattetes Harmoniumregister.

    Als Soloregister eröffnet das Harmonium eine ganz eigene Klangwelt, die sich durch diverse Klangschattierungen zusammen mit gekoppelten 8‘-Registern des 1. Manuals nuancenreich erweitern lässt, wie die Hörbeispiele mit Werken von Elgar, Rinck und Boëllmann demonstrieren:

    Edward Elgar (1857-1934): Voluntary Nr. 6 D-Dur | BZK Dorothea Harris
    Chr. H. Rinck (1770-1846): Elévation und Prélude | BZK Dorothea Harris
    Leon Boëllmann (1862-1897): Zwei Stücke aus den „Heures Mystiques“ | Klaus Vogt

     

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    Die nachfolgenden Hörbeispiele versuchen in der musikalischen Darstellung, insbesondere in der abgestuften Registrierung unterschiedlicher 8‘-Mischungen, stilistisch auf das Instrument einzugehen.

    Bei der begrenzten Registerzahl und dem Fehlen von Spielhilfen etc. scheiden Großwerke der romantischen Literatur aus. Umso mehr können die überschaubar kurzen Stücke aus der üppigen Nachspiel- und Zwischenspiel-Literatur aus der Provenienz der Lehrer-Organisten-Zunft „auf dem Lande“, wie sie das 19. Jahrhundert in großer Zahl produzierte, auf unserer kleinen, aber feinen Steinauer Orgel adäquat zur Geltung gebracht werden:

    W.V. Volckmar (1812-1887): Vier Nachspiele aus op. 137, 138, 139, 141 | Klaus Vogt
    Chr. H. Rinck (1770-1846): Vier Praeludien aus op. 25 | Klaus Vogt

     

    Nun stellt sich schließlich die Frage, was mit dem 3. Manual gemeint sein könnte. Natürlich gibt es ein solches bei der geringen Größe der Orgel in der üblichen Form nicht. Die Fa. Mebold hat dieses „3. Manual“ als Aufsatz- bzw. Transponierklaviatur hergestellt. Es ermöglicht die Transposition der um einen Halbton von der heutigen Stimmtonhöhe abweichenden Stimmung auf die heutige 440 Hz-Stimmung. Damit kann die Orgel auch mit anderen Instrumenten, denen ein Zusammenspiel sonst aufgrund der Höherstimmung nicht möglich ist, zusammen spielen.

     

    Ein ausführlicher Bericht über die Steinauer Orgel und ihre Restaurierung ist inzwischen in der Zeitschrift „Ars Organi“, Heft 1, März 2021, aus der Feder von OBM Mathias Mebold erschienen.


     

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    Informationen:
    • Tastenumfang Manuale C-c‘‘‘, Pedal C-c‘
    • Stimmtonhöhe a‘ 463,65 Hz bei 18° C
    • Temperierung gleichstufig
    • Winddruck 65 mm WS
    • Windversorgung 2 Keilbälge
    Disposition:
    • Manual I
    • Principal 8‘
    • Gambe 8‘
    • Flöte 8‘
    • Gedackt 8‘
    • Octave 4‘
    • Gedackt 4‘
    • Octave 2‘
    • Mixtur 4f.
    • Manual II
    • Harmonium 8'
    • Pedal
    • Violonbaß 16‘
    • Subbaß 16‘
    • Octavbaß 8‘

    Manualkoppel

    Pedalkoppel I-P

     


     

    Text:

    OSV Klaus Vogt, Bad Orb

    Musik:

    BZK Dorothea Harris , Klaus Vogt

    © Fotos:

    Fa. Mebold, Klaus Vogt

    Kontakt:

    Ev. Pfarramt I
    Brüder-Grimm-Str. 158 | 36396 Steinau a.d.Str.
    Tel. 06663 / 7223 | pfarramt1.Steinau@ekkw.de

    Orgelbau M. Mebold
    Breitenbacher Str. 399 | 57074 Siegen
    Tel. 0271 / 65814 | post@orgelbau-mebold.de